Für die Autorinnen Heidi Dahlsen, Christine Erdic, Britta Kummer und Karin Pfolz ist ein Kinderlachen das schönste Geschenk, aber sie wissen auch, dass dies schnell getrübt sein kann. In diesem Buch finden sich liebevoll erzählte Geschichten die Kindern in schwierigen Situationen Mut machen können. Wie wichtig Freundschaft und Kameradschaft ist und das Erkennen von Gefahren, aber auch den eigenen Wert sehen und den Mut zum Helfen zu haben, sind Themen dieses Werkes. Witzige, aber auch gefühlvolle Erlebnisse aus dem Leben, für Kinder die mutig und selbstsicher im Leben stehen wollen.

 

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Leseprobe: Ollis großer Tag

Olli ging in die vierte Klasse. Er war der Außenseiter. Er hatte vor allem Angst. Allerdings konnte er nichts dafür. Er war so erzogen worden. Seine Mutter räumte ihm jedes Hölzchen und Stöckchen vor den Füßen weg, weil sie ihm überhaupt nichts zutraute. Sie erzog ihn zur absoluten Unselbstständigkeit und auch Olli glaubte inzwischen, dass man ihn zu nichts gebrauchen konnte. Die Mutter wollte zwar nur das Beste für ihren Sohn, bemerkte aber nicht, dass sie ihm mit ihrer Übervorsicht mehr schadete.

In der Schule war er natürlich ein gefundenes Fressen für seine Mitschüler, da er überhaupt kein Selbstvertrauen hatte. Er wurde nur „Muttersöhnchen“ genannt und alle machten sich lustig über ihn.

Doch dann kam ein Tag, der alles veränderte und Olli endlich zeigen konnte, dass auch er ein ganzer Kerl war.

Auf dem Nachhauseweg sah er, wie seine Mitschülerin Pia vor einem fremden Auto mit geöffneter Autotür stand. Erstaunt blieb er stehen und beobachtete aus sicherer Entfernung. Aus dem Wageninneren drang eine Männerstimme, die immer wieder sagte: „Ich bin ein Freund deiner Eltern. Kennst du mich nicht mehr? Komm steig ins Auto. Ich fahre dich nach Hause.“

„Ich darf nicht zu Fremden einsteigen“, antwortete Pia. „Ach Kind. Ich bin doch kein Fremder. Du erinnerst dich nur nicht mehr an mich. Schau, ich habe hier auch einen Schokoriegel für dich. Stell dich doch nicht so an.“ Im selben Moment griff eine Hand nach Pias Arm.

Olli stockte der Atem. Noch vor zwei Tagen hatten sie in der Schule einen Vortrag von der Polizei über solche Situationen erhalten. Die Worte des Beamten hatte er noch genau im Kopf. „Steigt niemals in fremde Autos ein. Egal was euch versprochen wird. Lauft so schnell ihr könnt weg.“

Olli wusste nicht, was er machen sollte. Was war, wenn Pia diesen Mann wirklich kannte. Er würde sich zum absoluten Depp machen, wenn er eingriff und dann würden ihn alle für einen kompletten Spinner halten.

Er wollte schon auf dem Absatz kehrt machen. Sein Bauch sagte ihm - schau noch einmal hin - und dann sah er, wie die Männerhand immer mehr an Pias Arm riss. Sie stand stocksteif da und gab keinen Ton von sich.

Olli bekam es mit der Angst zu tun. Warum läuft sie denn nicht weg? Sie ist doch so schlau. Erschrocken musste er mit ansehen, wie das Mädchen immer mehr in das Auto hineingezogen wurde.

Und dann machte es bei Olli klick. Wie von einer Furie getrieben rannte er auf das Auto zu, packte Pias anderen Arm und riss in entgegengesetzte Richtung. Aber der Fremde ließ nicht los. „Finger weg von meiner Freundin! Lassen Sie sie los! Hilfe! Kann uns denn keiner helfen?“, schrie der Junge verzweifelt.

Eine junge Frau eilte zur Hilfe. Geistesgegenwärtig schlug sie auf die feindliche Hand. Dies zeigte Wirkung, denn Pias Angreifer ließ los. Die Frau packte das Mädchen und schubste sie vom Wagen fort. Sie fiel zu Boden. Olli reagierte blitzschnell und schlug die Autotür zu. Im selben Moment raste der Wagen davon.

Erst jetzt begriff Olli, was da passiert war. Er sank in sich zusammen und begann zu weinen. Die Frau setzte sich zu ihm, legte den Arm und ihn und versuchte ihn zu trösten. Pia war auch endlich aus ihrer Angststarre erwacht und nahm Olli ebenfalls in den Arm.

Zufällig kam ein Klassenkamerad vorbei. Als er das Schauspiel sah, dass Olli flennend am Boden saß und getröstet wurde, konnte er sich einen dummen Kommentar nicht verkneifen. „Unser Muttersöhnchen. Schaut ihn euch nur an. Der heult wie ein Mädchen.“

Pia schaute ihn erbost an, stand auf, warf ihm noch einen bitterbösen Blick zu und ohne ein Wort zu sagen half sie Olli hoch. So langsam beruhigte er sich. „Komm, wir bringen dich nach Hause. Du kannst stolz auf dich sein.“

Dort angekommen berichtete Pia alles Ollis Mutter. „Sie können stolz auf Ihren Sohn sein. Was er da getan hat, hätte sich so mancher Erwachsene nicht getraut. Er hat hingeschaut und dann gehandelt, ohne lange zu überlegen. Er ist so mutig. Ein richtiger Held. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er nicht so beherzt eingegriffen hätte.“

„Mein Sohn … mutig – ein Held. Das kann nicht sein.“ „Doch doch, glauben Sie es nur“, brachte sich die junge Frau in das Gespräch ein. „Nichts erfordert mehr Mut, als über seinen eigenen Schatten zu springen. Er ist über sich hinausgewachsen. Wer das macht und noch dazu, um einem anderen Menschen zu helfen, der ist ein wahrer Held. Davor muss man den Hut ziehen.“

Am nächsten Tag in der Schule wussten alle bereits, was vorgefallen war. Die Lehrerin lobte Olli für seine Tat und auch seine Mitschüler sahen ihn nun mit ganz anderen Augen. Er war doch nicht dieses Weichei, dieser Angsthase, für den sie ihn immer hielten. Sie nahmen ihn nun endlich in die Gemeinschaft auf und man merkte ihm an, wie glücklich ihn das machte.

© Britta Kummer