„Willkommen zu Hause, Amy“ ist eine wundervolle Familiengeschichte, die von Zuversicht, Mut, Liebe und dem Glauben an die eigene Kraft handelt.

Seit Amy denken kann, lebt sie im Heim. Ihre Mutter hat sie weggegeben, weil das Mädchen wegen einer Muskelschwäche körperbehindert ist.

Im Heim hat Amy aufgrund ihres Handicaps kein leichtes Leben. Sie wird von den Kindern gehänselt und drangsaliert. Ihr einziger Freund ist Mischlingshund Max, der sie auf Schritt und Tritt begleitet.

Erst nach Jahren erfährt Amy Mitgefühl, denn Mary, eine Freundin der Heimleiterin, holt sie zu sich auf die Farm. Eigentlich könnte sie glücklich sein, jetzt, wo ihr Traum von einer liebevollen Familie doch noch in Erfüllung geht. Aber dem steht ein großes Hindernis im Weg: Sie kann einfach nicht vertrauen! Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie auf der Farm nicht die Einzige ist, die ihr Vertrauen verloren hat ...

Das Buch ist illustriert von der Künstlerin Karina Pfolz, sodass der Leser noch mehr in Amys Welt eintauchen kann.

 

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An dem Tag, an dem der Mann das Geld für die Rinder vorbeibringen wollte, musste Andy wieder in die Stadt. Ich bat Mutter um die Erlaubnis, ihn begleiten zu dürfen, und sie willigte ein. Gespannt darauf, was uns dort erwartete, machte ich mich mit ihm und Max auf den Weg.

In der Stadt angekommen, half er mir in den Rollstuhl und sagte mir, dass er nur kurz weg müsse, und ich hier beim Auto warten solle. Aber mit der Zeit wurde mir langweilig, und ich machte mich auf eigene Faust auf den Weg. Schließlich war Max bei mir, und ich war mir sicher, dass mir nichts passieren konnte.

Ich fuhr in eine Seitenstraße. An einer Ecke standen drei junge Männer. So wie es aussah, waren zwei von ihnen betrunken. Ohne mich daran zu stören, rollte ich vorbei und grüßte freundlich.

Auf einmal griff einer dieser Kerle nach mir und hielt mich fest. Er beschimpfte mich und versuchte, mich aus meinem Rollstuhl zu schubsen. Max bellte laut und knurrte. Er versuchte, den Mann ins Bein zu beißen, doch der konnte ihn abschütteln. Der Zweite griff in das Geschehen ein und hatte, angestachelt von dem anderen, richtig Spaß daran. Der Dritte versuchte, die anderen davon abzuhalten, auf mich einzuschlagen, doch die beiden waren stärker und ließen sich nicht davon abbringen, mich in meinem Rolli hin und her zu stoßen.

Ich konnte nur noch sehen, wie der Dritte vom Ort des Geschehens weglief. Was für ein Feigling, dachte ich mir. Dann bekam ich nicht mehr sehr viel von dem mit, was um mich herum geschah. Sie schlugen mir ins Gesicht und hatten anscheinend noch richtig Spaß dabei. Max versuchte zwar nach wie vor, nach den beiden zu schnappen, konnte aber gegen zwei Leute nichts ausrichten. Und anscheinend spürten sie in ihrem Alkoholrausch sowieso nichts von den Bissen, die er ihnen zufügte. Immer wieder schlugen sie mir ins Gesicht und lachten. Ich will sie nicht in Schutz nehmen, aber so, wie es aussah, merkten sie gar nicht mehr, was sie da taten.

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie drei Leute auf uns zuliefen. Einer von ihnen war Andy, der Zweite war der junge Mann, der weggelaufen war, und den Dritten kannte ich nicht. Ich konnte nur erkennen, dass es ein älterer Herr war.

Es dauerte lange, bis meine drei Retter die anderen zwei gegen eine Hauswand drücken und so von mir fernhalten konnten. Dann sah ich, wie die zwei Schläger durch den Druck, den die anderen auf sie ausübten, zusammenbrachen. Sie waren mit ihren Kräften am Ende und sackten einfach in sich zusammen. Es war ein Wunder, dass ich immer noch in meinem Rollstuhl saß und sie es nicht geschafft hatten, mich herauszustoßen. Was hätten sie wohl mit mir gemacht, wenn ich am Boden gelegen hätte? Aber das wollte ich mir gar nicht ausmalen.

Andy kam sofort zu mir gelaufen, und an seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er sich große Sorgen um mich machte.

Ich sagte: »Ich bin okay«, auch wenn ich mir nicht so sicher war, ob das stimmte.

Ich bekam mit, wie der ältere Mann die anderen zwei wüst beschimpfte, und es wunderte mich, dass sie sich das gefallen ließen. Zu zweit wäre es ein Leichtes für sie gewesen, ihn umzustoßen, aber sie hockten nur in ihrer Ecke und bewegten sich nicht. Als ich sie da so sitzen sah, hatte ich sogar etwas Mitleid mit ihnen. Er kam auf mich zu und erkundigte sich nach meinem Befinden. Er stellte sich vor, und schnell wurde mir klar, dass es sich um den Herrn handelte, der unsere Rinder gekauft hatte. Wie sich herausstellte, waren die drei seine Söhne, und er schämte sich zutiefst dafür, was passiert war.

Andy schlug vor, mich erst einmal zum Arzt zu bringen, und der Rinderkäufer war der gleichen Meinung. Also brachten sie mich dorthin, und Herr Olsen, so hieß er, versuchte mit Hilfe seines nicht angetrunkenen Sohnes, die anderen beiden ins Auto zu verfrachten. Andy machte mit ihm einen Zeitpunkt aus, an dem sie sich noch einmal treffen wollten. Sie verabredeten sich in einem kleinen Restaurant an der Hauptstraße, und so ging jeder seiner Wege.

Der Doktor stellte fest, dass ich eine Rippenprellung, Blutergüsse am Arm und ein blaues Auge hatte.

»Wie soll ich das bloß Mutter erklären?«, jammerte Andy. Wenn sie dann noch erfahren würde, dass es die Söhne des Mannes waren, der unsere Tiere kaufen wollte, da war er sich sicher, würde sie ihm diese bestimmt nicht überlassen.

Ich bläute Andy ein, dass sie nichts davon wissen durfte, zumindest nicht sofort. Wir brauchten das Geld, das war klar, wussten aber nicht, wie wir ihr alles erklären sollten, ohne sie anlügen zu müssen.

Fast gleichzeitig trafen wir zum verabredeten Zeitpunkt in dem Restaurant ein. Immer wieder beteuerte Herr Olsen, wie leid es ihm tue, was passiert sei.

Und dann kam mir auf einmal die Idee, wie wir Mutter die Sache erklären konnten, ohne sie anlügen zu müssen. Ich erzählte Herrn Olsen, wie ernst die Lage sei, und dass wir es ohne seine Hilfe nicht schaffen könnten, sie zu überlisten. Als ich ihm erklärte, dass sie ihm die Rinder nie verkaufen würde, wenn sie wüsste, dass es seine Söhne gewesen waren, die mich so zugerichtet hatten, versprach er, uns zu helfen.

Unser Plan sah so aus, dass Andy und ich ganz normal nach Hause fuhren und Herr Olsen uns folgte. Es musste so aussehen, als ob wir zufällig zur gleichen Zeit ankamen. So hatte Mutter wegen des bevorstehenden Geschäftes keine Zeit, uns auszufragen. Sollte sie doch fragen, wollten wir ihr sagen, dass ich mit dem Rollstuhl gestürzt war und wir ihr nach Vertragsabschluss alles genau erklären würden. Da sie immer höflich zu anderen war, waren Andy und ich uns sicher, dass sie sich erst einmal um ihren Gast kümmern würde und uns deshalb nicht so genau beachtete. Schließlich wusste auch sie, wie wichtig dieser Vertragsabschluss für die Familie war. Ich war mir zwar nicht so ganz im Klaren darüber, ob alles so reibungslos über die Bühne gehen würde, aber es war auf jeden Fall einen Versuch wert.

Herr Olsen fand die Idee auch gut, vor allem, da er keine bessere zur Verfügung hatte, und versprach, unseren Plan genau einzuhalten. Er bedankte sich noch einmal bei mir und versprach mir, dass ich mich, wenn ich einmal seine Hilfe bräuchte, mich nur bei ihm melden müsse und er wäre sofort zur Stelle. So wie er es sagte, wusste ich, dass er es auch meinte. Ich fand sein Angebot großzügig und nickte ihm zu.

Dann schaute er mich mit großen Augen an und sprach mich auf das Kreuz an meiner Kette an. Ich erzählte ihm, dass dies das einzige Stück war, das ich von meiner leiblichen Mutter besaß. Er lief im Gesicht leicht rot an und fragte mich dann verlegen, ob ich mir vorstellen könnte, den Anhänger zu verkaufen. Ich schaute ihn verwundert an, und er erzählte mir, dass seine Frau genau so einen gehabt hatte. Leider hatte sie ihn in einem Urlaub verloren, und er versuchte schon seit Jahren, wieder an so ein Schmuckstück zu kommen, da seine Frau so daran hing.

Wie sich herausstellte, war dieser Anhänger von einem Künstler entworfen worden, der bereits verstorben war, und zwar in streng limitierter Auflage, sodass es schier unmöglich war, noch einen davon auf dem freien Markt zu finden.

Ich schaute ihn ungläubig an. Wollte er mir damit sagen, dass dieses Ding, welches ich um den Hals trug, wertvoll war? Ich lachte und sagte ihm, dass ich ihm das nicht glauben würde, aber er bestätigte es mir noch ein zweites Mal.

Andy schaute ihn vorwurfsvoll an, dass er mir überhaupt so ein Angebot gemacht hatte, obwohl ich doch gesagt hatte, dass es das letzte Andenken an meine leibliche Mutter war. Noch bevor Andy etwas sagen konnte, erklärte ich ihm, dass er mir nicht so wichtig sei. Herrn Olsen sagte ich, dass ich ihn zurzeit noch nicht hergeben wollte, aber mich als Erstes bei ihm melden würde, wenn es so weit sei. Er reichte mir die Hand und lächelte mich an.

Wir machten uns auf den Weg und fuhren gemeinsam zu uns nach Hause. Als wir die Auffahrt zur Farm erreichten, stand Mutter schon auf der Veranda. So wie es aussah, wartete sie bereits auf uns. Gleichzeitig stoppten wir die Autos. Herr Olsen stieg zuerst aus und winkte ihr zu. Er ging zu ihr, gab ihr die Hand und machte ihr Komplimente.

Er versicherte ihr, wie sehr er sich freue, sie wiederzusehen. Sie merkte natürlich nicht, dass er sie nur durch sein Gerede ablenken wollte. Höflich, wie sie war, bot sie ihm einen Stuhl an und setzte sich zu ihm.

Wir konnten erkennen, wie er die vorbereiteten Kaufpapiere aus seiner Tasche nahm und sie ihr reichte. Das war der Moment, auf den wir gewartet hatten. Sie war so mit dem Lesen beschäftigt, dass sie nicht sah, wie Andy mich schnell in meinen Rollstuhl setzte. Sofort schob er diesen an und fing an zu laufen. Wir winkten Mutter nur zu und sausten an ihr vorbei. »Bis später!«, rief ich, und schon waren wir in Richtung Scheune verschwunden. Max klebte uns an den Fersen.

Von dort aus konnten wir sehen, wie Herr Olsen aufstand. Er hatte die Dokumente in der Hand, und wir glaubten, dass mit dem Vertrag alles in Ordnung war und Mutter ihn unterschrieben hatte. Dann gab er ihr noch einmal die Hand und sagte etwas zu ihr, was wir natürlich auf diese Entfernung nicht verstehen konnten. Wir sahen nur, dass sie verwundert den Kopf schüttelte über das, was er ihr wohl gesagt hatte. Dann ging er zu seinem Auto und fuhr fort.

Wir schauten hoch zum Haus und hatten beide einen Kloß im Hals. Wir wussten genau, dass wir uns ihr nun stellen mussten, und hatten kein gutes Gefühl dabei. Als wir in Richtung Veranda fuhren, konnten wir sehen, dass sie dort nicht mehr war. Andy beeilte sich, zum Haus zu kommen. Er setzte sich an den Tisch, und den Rollstuhl stellten wir so, dass sie nicht sofort mein blaues Auge erkennen konnte. Max legte sich in die Ecke und machte sich so klein, als ob er sagen wollte: Ich bin gar nicht da.

Doch irgendwie hatte sie den Braten gerochen. Sie kannte es nicht von uns, dass wir sie so ignorierten, wenn wir nach Hause kamen, und das gab ihr dann offenbar doch zu denken. Sie kam aufgeregt rausgelaufen, und wir bemühten uns, so zu tun, als wenn nichts passiert sei. Sie kam direkt zu mir, und als sie mein Veilchen und die Blutergüsse auf meinem Arm sah, reagierte sie genau so, wie wir es uns ausgemalt hatten.

Man sah ihr an, dass sie sich immer mehr aufregte. Sie sagte zwar nichts, aber ich konnte es an ihren Augen und ihren zitternden Händen sehen. Doch bevor sie zu explodieren drohte, nahm ich all meinen Mut zusammen und erzählte ihr, was passiert war. Andy saß ganz still auf seinem Stuhl, und so wie er aussah, war er ganz froh darüber, dass ich das Wort ergriffen hatte.

»Wenn ich gewusst hätte, dass es seine Söhne waren, die dich so zugerichtet haben, hätte ich ihm kein Rind mehr verkauft!« Ihre Stimme bebte. Um sie etwas zu beruhigen, nahm ich ihre Hände in meine.

Dann ergriff Andy das Wort und sagte ihr, dass wir genau wussten, dass sie so reagieren würde, und ihr deshalb nicht sofort alles erzählt hätten. Wir sagten ihr auch, dass unser Plan nur aufgehen konnte, weil Herr Olsen mitgespielt hatte. Andy grinste Mutter frech an und fügte hinzu, dass dieser, wie man sehe, auch gut aufgegangen sei. Er erinnerte sie an die Schulden und dass es deshalb besonders wichtig war, dass der Verkauf wie immer zustande kam. Ich nickte ihm zu und unterstrich damit, dass ich genau seiner Meinung war.

Ich versuchte, sie damit zu beruhigen, dass es nur kleine Verletzungen wären, dass man in einigen Wochen nichts mehr davon sehen würde und dann alles vergessen sei. Es sei eben passiert; daran könne man nun auch nichts mehr ändern. Ich merkte an ihrer Hand, die immer noch in meiner lag, dass ihr Zittern weniger wurde.

»Nun weiß ich auch, warum Herr Olsen mir vor seiner Abfahrt gesagt hat, ich könne sehr stolz auf meine Kinder sein. Ich wusste erst gar nicht, was er damit meinte, aber nun verstehe ich es. Ihr habt erst an die Familie gedacht und nicht an euch selber. Ich kann ihm nur beipflichten. So etwas macht eine Mutter schon glücklich, wenn sie miterleben darf, dass sich ihre Kinder so für die eigene Familie einsetzen«, sagte sie stolz.

Sie erkundigte sich nach meinen Verletzungen und schaute sie sich an. Andy zog die Salbe aus seiner Jackentasche, die ihm der Arzt gegeben hatte. Sofort nahm sie sie ihm ab und versorgte meine Blutergüsse. Ich verzog das Gesicht, es war nicht gerade angenehm, aber ich gab keinen Ton von mir. Hätte ich ihr gezeigt, dass ich starke Schmerzen hatte, hätte sie mich aus lauter Sorge die nächsten Tage nicht mehr aus den Augen gelassen – und das wollte ich verhindern.

© Britta Kummer